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Do or Die! Squid Game, K-Drama, Netflix und die Gesellschaft des Spektakels

Und spielt ihr auch schon "Rotes Licht, Grünes Licht"?

So wie jetzt (angeblich) unsere Kinder auf dem Schulhof. Oder die Gäste in einem Café in Jakarta. Solche "existenziellen" Meldungen sagen wahrscheinlich mehr über den populistischen Zustand unserer Medien aus, als über die tatsächliche Popularität der koreanischen Serie "Squid Game". 142 Millionen Abrufe in vier Wochen, sagt Netflix. In 94 Ländern auf Platz 1, sagt Netflix. Die erfolgreichste Serie aller Zeiten, sagt Netflix.


Aber was sagt uns das alles? Außer dass Netflix am liebsten mit und über sich selbst spricht.


Neoliberaler Leistungsgedanke


Wer sich bewegt, der stirbt - so ist das im rot-grünen Spiel der Serie. In unserer Gesellschaft gilt wohl das Gegenteil: Wer sich nicht bewegt, ist längst gestorben. Und der kleine, ehrliche, rastlose Mann geht jeden Tag für eine reiche, korrupte, hedonistische Elite schuften - und am Ende drauf! So zeigt das die Serie etwas plakativ. Sie nimmt den Leistungsgedanke vom "Do or Die" ganz wörtlich und treibt ihn auf die Spitze. In vielen Medien wurde sie deshalb als beißende Kapitalismuskritik gefeiert.



"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das so ist. Das mache ich vorallendingen daran fest, dass es hier um eine besonders krasse und exzessive Logik geht, mit der der Kapitalismus gezeichnet wird - und die bleibt sehr dieser Logik verhaftet, dass es immer die Anderen sind, denen es schlecht geht und die ausgebeutet werden. Und man weder die eigene Mitwirkung und eigene Bejahung an diesen Verhältnissen sieht, noch dass das eigene Leben als eine Form, in dem Ausbeutung stattfindet, begriffen wird. Insofern leistet die Serie dem Anliegen von Kapitalismuskritik, nämlich zu einer Veränderung der Verhältnisse zu kommen, einen Bärendienst." - Filmwissenschaftler Thomas Waitz von der Uni Wien

Ergo: Eine Serie, die die neoliberalen Auswüchse des Kapitalismus zeigt, ist also nicht gleich konstruktive Kapitalismuskritik.


Und Marx würde angesichts des kapitalismuskritischen Potenzials von "Squid Game" wohl nicht einmal die Kraft aufbringen, sich im Grab umzudrehen.


"Das dargestellte Geschehen (hoch Verschuldete treten in Spielen mit- und gegeneinander an, die Verlierer werden solange getötet, bis eine/r als Millionär/in übrig bleibt) hat mit den Prinzipien kapitalistischer Gesellschaften (Privateigentum an Produktionsmitteln, Produktion für den Tausch, Lohnarbeit, Mehrwert usw.) und der Kritik daran ja nun wirklich nicht viel zu tun." - Medienwissenschaftler Till Heilmann von der Uni Bochum

Also fragen wir doch lieber frei nach Adorno: Kann es richtige Kapitalismuskritik im falschen Unternehmen überhaupt geben? Und damit gelangen wir dann zu konstruktiver Kapitalismuskritik...


Aufgepasst Netflix, Kapitalismuskritik!


Wenn wir uns nämlich die "eigene Mitwirkung und Bejahung an diesen Verhältnissen" und "die Ausbeutung" (siehe Zitat Waitz) vor Augen führen, sind wir ganz schnell bei den Streaming-Anbietern und ihrem Publikum. Also bei uns. Vor der Glotze.


"Netflix ist Kulturindustrie 4.0. - das ist genau das, was Adorono und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung im Kulturindustrie-Kapitel beschrieben haben: nämlich den Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis. Die Manipulation besteht darin, wir wollen in jeder Sekunde, egal, wo wir sind - im Zug, am Flughafen, im Bus, zu Hause - Unterhaltung haben. Wir werden die Regent*innen unserer Welt - vermeintlich! Weil es immer nur darum geht: Füttere mein Ego, gib mir das, was mir zusteht! Das ist diese Manipulationsblase. Und das rückwirkende Bedürfnis besteht darin, wie bei den sozialen Medien, wenn ich bei Instagram bin, ein Bild poste und ganz viele Likes bekomme, dann ist das Anerkennung. Und diesen Zirkel, den Adorno/Horkheimer mit Blick auf die Unterhaltungsindustrie der 30er/40er Jahre in Amerika beschrieben haben, das haben wir heute mit Amazon, Netflix und anderen global." - Kulturwissenschaftler Marcus Kleiner von der Hochschule der populären Künste in Berlin

Und wir sind in den Geschäftsräumen von Netflix, Amazon und Co., die wie die VIPs in "Squid Game" in ihren Logen sitzen und beobachten, wie wir uns zu Tode amüsieren. Manches Serienoriginal wird selbst zum "Squid Game" um Leben und Tod:


"Netflix ist ein riesiges Medienimperium, das an globalen Hierarchien mitwirkt. Wenn wir uns das Produktionsbudget dieser südkoreanischen Serie anschauen, merken wir, das ist bei weitem nicht so hoch, wie das Budget klassisch weißer Produktionen wie ‚The Crown‘ oder ‚House of Cards‘. People of Color, Asiat*innen, Latinx werden weiterhin schlechter bezahlt. Südkorea hat keine Gewerkschaften. Beim Dreh der südkoreanischen Serie ‚Kingdom’ sind sogar zwei Menschen gestorben. Wir müssen uns also fragen: Bietet Netflix genügend Ressourcen, damit Sicherheitsrichtlinien eingehalten werden können, sich Leute nicht überarbeiten oder Traumata erleiden?" - Podcasterin, Comedian und Filmwissenschaftlerin Grace Jung

Kapitalismuskritik -> Medienkritik


Weniger als Kapitalismuskritik taugt die Serie "Squid Game" aber als Medienkritik. Denn: Die Serienwelt spiegelt die reale Welt des Zuschauers, unsere Welt, wieder. Und stellt deren Vulgarität und Abgestumpftheit aus.


"Es stellt sich ja im Verlauf der Serie heraus, dass diese menschenverachtenden Spiele von einer superreichen Person organisiert werden und zwar zum Vergnügen und Unterhaltung anderer Superreiche. Und das scheint mir nicht ohne Ironie. Denn was in der inneren Welt der Serie passiert, das spiegelt ja die vormediale Welt: Auch die Netflix-Serie 'Squid Game' wird ja zur Unterhaltung und zum Vergnügen konsumiert, einschließlich der ästhetischen Lust, die das Publikum in den Gewaltdarstellungen zu generieren im Stande ist." - Filmwissenschaftler Thomas Waitz von der Uni Wien

Ergo: So funktioniert selbstreferenzielle Medienkritik in der Popkultur - die Selbstverachtung gibt's gratis dazu!



Ganz ähnlich zeigt das übrigens die koreanischen Serie "Hellbound", die bereits erfolgreicher als "Squid Game" ist, sagt Netflix. Hier wird die Hinrichtung sündiger Menschen durch Monster aus der Hölle zum medialen Spektakel im Fernsehen und den sozialen Medien. Die koreanischen Serien sind in ihrer Kritik damit Guy Debords "Gesellschaft des Spektakels" wesentlich näher als Adorno/Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" oder Marx' "Kapital".


Auszüge "Gesellschaft des Spektakels" 

"Das Spektakel ist die Ideologie schlechthin, weil es das Wesen jedes ideologischen Systems in seiner Fülle darstellt und zum Ausdruck bringt: Die Verarmung, die Unterjochung und die Negation des wirklichen Lebens."

"Das Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst."

"Die Entfremdung des Zuschauers (...) drückt sich so aus: je mehr er zuschaut, um so weniger lebt er; je mehr er akzeptiert, sich in den herrschenden Bildern des Bedürfnisses wiederzuerkennen, desto weniger versteht er seine eigene Existenz und seine eigene Begierde. Die Äußerlichkeit des Spektakels (...) erscheint darin, daß seine eigene Geste nicht mehr ihm gehört, sondern einem anderen, der sie ihm vorführt."

Insofern können wir auch alle (Erfolgs-)Meldungen rund um "Squid Game" und "Hellbound" als Teil des Spektakels bzw. dem Spektakel zuträglich interpretieren. Schulhof und Café sind die Ausläufer der Bühne. Es wird sicher nicht das letzte Spektakel dieser Art sein. Denn: Dass Erfolg zu Nachahmung und Reproduktion führt, liegt in der Logik der Kulturindustrie:


"Das gilt für die gesamte Serien- und Kulturproduktion. Das ist ein Industriezweig. Und industrielle Produktion heißt immer, dass man durch Wiederholung und Massenproduktion, Profite erzielt ohne enormen Einsatz dafür zu haben. Das ist der Unterschied zwischen Kunst und Kulturindustrie." - Medienwissenschaftler Dominik Maeder von der Uni Bonn

Exkurs K-Drama

Die Kulturindustrie brummt in Südkorea - und wird seit den 90er-Jahren staatlich gefördert und exportiert. Pop-Kultur als "soft power": im Mischmasch von landestypischer Folklore und globalem Universalklang. Nach der Musik, dem K-Pop, sind also auch Filme und Serien, K-Drama, in Europa immer erfolgreicher. Die Streaming-Dienste befeuern solche Trends zusätzlich, allein durch ihre Algorithmus-Funktionsweise. 

Das zeigt dann auch womit wir es bei "Squid Game" und "Hellbound" in erster Linie zu tun haben: Spektakel, die auf seltsam selbstverachtende Weise das Spektakel kritisieren. Frei nach dem Motto: Rettet uns vor uns selbst!


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